
Marx Engels aktuell
Viele sagen, Marx und Engels – geboren zum Beginn des 19. Jahrhunderts – wären nicht mehr aktuell, weil die Zeiten eben heute ganz andere sein. Sie irren. Natürlich kannten beide noch keine Computer und hätten gestaunt über die Erfolge der Raumfahrt. Das, was sie schrieben, ist aber nicht nur wegen ihrer Methode, alles kritisch zu hinterfragen, von bleibendem Wert. Viele ihrer Äußerungen helfen uns heute Lebenden, die moderne Welt besser zu verstehen. Dem soll diese kleine Serie „Marx und Engels aktuell“ dienen. In ihr spiegelt eines unserer Mitglieder einmal im Monat aktuelle Ereignisse an Aussagen der beiden Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus.In der „Neuen Rheinischen Zeitung“, in der linke Revolutionäre unter Leitung ihres Chefredakteurs Karl Marx die aufwühlenden Ereignisse aus den Jahren 1848/49 berichtend und kommentierend begleiteten, erschien am 17. Mai 1849 die Notiz, dass am 10. Mai „Friedrich Engels, Redakteur der ‚Neuen Rheinischen Zeitung‘ von Köln nach Elberfeld“[1] gegangen sei und „von Solingen aus zwei Kisten Patronen“ mitgenommen hätte, „welche beim Sturm des Gräfrather Zeughauses durch die Solinger Arbeiter erbeutet worden waren.“ In Elberfeld angekommen stellte er sich dem dortigen „Sicherheitsausschuss“ zur Verfügung, der ihn sofort beauftragte, „sämtliche Barrikaden der Stadt zu inspizieren und die Befestigungen zu vervollständigen“. Schon einen Tag später wurde ihm die gesamte Artillerie der Aufständischen unterstellt. Er selbst hatte sich bei den Aufständischen mit dem Hinweis zur Verfügung gestellt, er sei unter anderem hier, weil er „in militärischer Beziehung vielleicht nützlich verwandt werden könne“[2].
Engels war also, das erhellt diese Textstelle, nicht nur ein Mann des Wortes, sondern auch der Tat. Sie erhellt zweitens, dass weder er noch die in seiner und Marxens Tradition stehende Menschen Pazifisten, also grundsätzliche Gegner jeder Anwendung von Gewalt gewesen waren. Sie waren es nicht und sind es auch heute nicht.
Weiterlesen: „… in militärischer Hinsicht vielleicht nützlich…“
Hannes Wader ist wohl der bedeutendste noch lebende von den alten Liedermachern, die die 70er und 80er Jahre in der Bundesrepublik maßgeblich prägten. Kurz nach seinem 80. Geburtstag ist von ihm eine wunderschöne CD mit dem Titel „Noch hier“ erschienen. Dort findet sich ein Lied mit dem unscheinbaren Titel „Vorm Bahnhof“. Er singt dort von den durch die zunehmende Technisierung nicht nur der materiellen Produktion, sondern auch des Dienstleistungsbereiches überflüssig gewordenen Angestellten, vom „Hassepidemievirus“, der die Welt immer mehr zugrunde richtet und von den Algorithmen seines Smartphones, die viel schlauer seien als er selbst, dessen Gedächtnis „Risse“ bekäme.
In das Lied sind an den zentralen Stellen Zitate eingestreut von jemandem, der das alles, was Wader trotzig-trauernd-kämpferisch beschreibt, „schon vor 160 Jahren“ wusste. Die Zitate stammen allesamt aus dem Text einer der kürzesten und prägnantesten Reden, die Karl Marx je gehalten hat – die auf der Jahresfeier des „People’s Paper“ am 14. April 1856 in London[1].
Gegenwärtig bereiten sich nicht nur die Medien, sondern auch die Gewerkschaften und mit ihnen hunderttausende von Arbeiterinnen, Arbeitern und Angestellten unseres Landes auf die Lohnrunden im kommenden Herbst vor. Es wird Maßhalteappelle hageln und allerlei großformatige Zeitungsartikel und Talk-Show-Monologe staatlich besoldeter und zusätzlich von Unternehmen cofinanzierter Ökonomieprofessoren geben, die ‚nachweisen‘, dass entweder in unseren Zeiten keine Reallohnerhöhungen möglich wären oder sie, wenn die sturen Gewerkschaftsbosse sie durchsetzen sollten, den Tariflohnempfängern sogar unter dem Strich durch umso höhere Inflation schaden würden.
Innerhalb vieler Betriebe und auch in mancher gewerkschaftlicher Diskussion von Betriebsgruppen, in den Personal- und Betriebsratsbüros oder auf Zusammenkünften gibt es dagegen eine gewisse intellektuelle Hilf- und Wehrlosigkeit. Die Zeiten seien angesichts des Ukraine-Krieges eben so, wird gesagt und es wird zuweilen angefügt, ja, die Lohn-Preis-Spirale sei in Wirklichkeit eine Preis-Lohn-Spirale, aber eine Spirale sei sie trotzdem und wenn jetzt erst die Löhne, danach aber gleich die Preise steigen würden, wäre ja auch nichts gewonnen für uns hier unten. Dagegen gibt es dann in mancher Debatte ein instinktiv richtiges „Ist mir egal, ich brauch‘ mehr Geld und meine Kinder brauchen’s auch!“, aber die theoretische Verunsicherung nagt an der kollektiven Kampfentschlossenheit.
Weiterlesen: „… Steigerung der Lohnrate … Warenpreise zu beeinflussen“
Eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung war die Vereinigung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands im Mai 1875. Karl Marx und Friedrich Engels plädierten für die Vereinigung dieser beiden Organisationen zu einer einheitlichen Partei. Der Programmentwurf aber rief nicht nur bei Ihnen heftigen Widerspruch hervor. Auch August Bebel und der damals in engem Kontakt zu Marx stehende Braunschweiger Arbeiterführer Wilhelm Bracke runzelten vernehmlich die Stirn. Bracke schrieb am 25. März 1975 an Engels: „Das für den ‚Vereinigungskongreß‘ vorgelegte Programm … zwingt mich zu diesen Zeilen. Die Annahme dieses Programms ist für mich unmöglich, und auch Bebel ist derselben Meinung für sich.“[1] Bracke empört sich insbesondere über die Forderung der Einführung von „Produktivgenossenschaften mit Staatshilfe … Da aber Bebel entschlossen scheint, den Kampf aufzunehmen, würde ich mindestens mich gedrängt fühlen, ihn nach Kräften zu unterstützen. Vorher möchte ich doch gern wissen, wie Sie und Marx über die Angelegenheit denken.“[2]
Marx verfaßt daraufhin die berühmt gewordenen „Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei“[3], die unter anderem eine Skizze der frühen und der reifen kommunistischen Gesellschaft beinhalten und ein Musterbeispiel für eine kritische Analyse eines Parteiprogramms sind.