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Der Krieg in der Ukraine beherrscht zurzeit alle politischen Debatten. Er schiebt sich damit auch wie eine alles überdeckende Schicht aus Wörtern über die scheinbar der Vergangenheit angehörenden Diskussionen um die drohende Klimakatastrophe. Diese Diskussionen werden aber über kurz über lang wieder an die Oberfläche kommen wie ein Korken, der sich eben nicht unter Wasser halten lässt, weil ihn seine Auftriebskräfte immer wieder nach oben treiben.

Die umweltpolitischen Debatten des Jahres 2023ff werden aber andere sein als die der Jahre vor 2022. Das hat drei Gründe. Zum einen werden sie noch dramatischer werden als die hinter uns liegenden Diskussionen, weil es der Natur herzlich egal ist, ob Kriege zwischen Zweibeinern ihr Augenmerk ablenken von Klimaverschiebungen, Insektensterben und dem sprudelnden Leben neuer Viren, die im Kontakt zwischen Mensch und Tier entstehen – diese Prozesse laufen weiter. Zweitens macht der Krieg und mehr noch die Reaktion der NATO-Staaten auf ihn alles nur noch schlimmer. Selbst wenn die Panzerhaubitzen, die unsere Bundesregierung nun in alter Tradition nach Osten in Marsch setzen will, mit Biodiesel fahren würden und vegane Munition verwenden – ein Ding wie einen umweltschonenden Krieg gibt es nicht. Krieg ist spätestens seit Beginn des Industriezeitalters immer nicht nur Vernichtung menschlichen Lebens, sondern auch Vernichtung pflanzlichen und tierischen Lebens. Drittens aber verwandelt der Krieg das früher einmal frische Grün der nach dieser schönen Farbe benannten Regierungspartei, die Außen- und Umweltministerin stellt, immer mehr in ein hässliches Olivgrün. Es lässt ahnen: Nicht die „Grünen“ werden, wie sie in ihrer Gründungszeit verkündeten, den Kapitalismus besiegen und überwinden. Der Kapitalismus hat die „Grünen“ besiegt und zu einer olivgrünen Kriegspartei deformiert. Es gibt keine Lösung der immer weiter wuchernden, selbst geschaffenen ökologischen Probleme dieses Planeten ohne Überwindung des Kapitalismus:

„Die Tiere, wie schon angedeutet, verändern durch ihre Tätigkeit die äußere Natur ebensogut, wenn auch nicht in dem Maße wie der Mensch, und diese durch sie vollzogenen Änderungen ihrer Umgebung wirken, wie wir sahen, wieder verändernd auf ihre Urheber zurück. Denn in der Natur geschieht nichts vereinzelt. Jedes wirkt aufs andre und umgekehrt, und es ist meist das Vergessen dieser allseitigen Bewegung und Wechselwirkung, das unsre Naturforscher verhindert, in den einfachsten Dingen klarzusehn. Wir sahen, wie die Ziegen die Wiederbewaldung von Griechenland verhindern; in Sankt Helena haben die von den ersten Anseglern ans Land gesetzten Ziegen und Schweine es fertiggebracht, die alte Vegetation der Insel fast ganz auszurotten, und so den Boden bereitet, auf dem die von späteren Schiffern und Kolonisten zugeführten Pflanzen sich ausbreiten konnten. Aber wenn die Tiere eine dauernde Einwirkung auf ihre Umgebung ausüben, so geschieht dies unabsichtlich und ist, für diese Tiere selbst, etwas Zufälliges. Je mehr die Menschen sich aber vom Tier entfernen, desto mehr nimmt ihre Einwirkung auf die Natur den Charakter vorbedachter, planmäßiger, auf bestimmte, vorher bekannte Ziele gerichteter Handlung an. Das Tier vernichtet die Vegetation eines Landstrichs, ohne zu wissen, was es tut. Der Mensch vernichtet sie, um in den freigewordnen Boden Feldfrüchte zu säen oder Bäume und Reben zu pflanzen, von denen er weiß, daß sie ihm ein Vielfaches der Aussaat einbringen werden. Er versetzt Nutzpflanzen und Haustiere von einem Land ins andre und ändert so die Vegetation und das Tierleben ganzer Weltteile. Noch mehr. Durch künstliche Züchtung werden Pflanzen wie Tiere unter der Hand des Menschen in einer Weise verändert, daß sie nicht wiederzuerkennen sind.

Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unsern menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns. Jeder hat in erster Linie zwar die Folgen, auf die wir gerechnet, aber in zweiter und dritter Linie hat er ganz andre, unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu oft jene ersten Folgen wieder aufheben. Die Leute, die in Mesopotamien, Griechenland, Kleinasien und anderswo die Wälder ausrotteten, um urbares Land zu gewinnen, träumten nicht, daß sie damit den Grund zur jetzigen Verödung jener Länder legten, indem sie ihnen mit den Wäldern die Ansammlungszentren und Behälter der Feuchtigkeit entzogen. Die Italiener der Alpen, als sie die am Nordabhang des Gebirgs so sorgsam gehegten Tannenwälder am Südabhang vernutzten, ahnten nicht, daß sie damit der Sennwirtschaft auf ihrem Gebiet die Wurzel abgruben; sie ahnten noch weniger, daß sie dadurch ihren Bergquellen für den größten Teil des Jahrs das Wasser entzogen, damit diese zur Regenzeit um so wütendere Flutströme über die Ebene ergießen könnten. Die Verbreiter der Kartoffel in Europa wußten nicht, daß sie mit den mehligen Knollen zugleich die Skrofelkrankheit verbreiteten. Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, daß wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht – sondern daß wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn, und daß unsre ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor allen andern Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können.

Und in der Tat lernen wir mit jedem Tag ihre Gesetze richtiger verstehn und die näheren und entfernteren Nachwirkungen unsrer Eingriffe in den herkömmlichen Gang der Natur erkennen. Namentlich seit den gewaltigen Fortschritten der Naturwissenschaft in diesem Jahrhundert werden wir mehr und mehr in den Stand gesetzt, auch die entfernteren natürlichen Nachwirkungen wenigstens unsrer gewöhnlichsten Produktionshandlungen kennen und damit beherrschen zu lernen. Je mehr dies aber geschieht, desto mehr werden sich die Menschen wieder als Eins mit der Natur nicht nur fühlen, sondern auch wissen, und je unmöglicher wird jene widersinnige und widernatürliche Vorstellung von einem Gegensatz zwischen Geist und Materie, Mensch und Natur, Seele und Leib, wie sie seit dem Verfall des klassischen Altertums in Europa aufgekommen und im Christentum ihre höchste Ausbildung erhalten hat.“1

Im weiteren Verlauf seines Buches „Dialektik der Natur“ arbeitet Engels den Zusammenhang von gesellschaftlichen Verhältnissen mit der Fähigkeit heraus, eine dieser Erkenntnis entsprechende politische Wirkung zu entfalten und kommt zu dem Schluss:

„… auch auf diesem Gebiet lernen wir allmählich, durch lange, oft harte Erfahrung und durch Zusammenstellung und Untersuchung des geschichtlichen Stoffs, uns über die mittelbaren, entfernteren gesellschaftlichen Wirkungen unsrer produktiven Tätigkeit Klarheit zu verschaffen, und damit wird uns die Möglichkeit gegeben, auch diese Wirkungen zu beherrschen und zu regeln.

Um diese Regelung aber durchzuführen, dazu gehört mehr als die bloße Erkenntnis. Dazu gehört eine vollständige Umwälzung unsrer bisherigen Produktionsweise und mit ihr unsrer jetzigen gesamten gesellschaftlichen Ordnung.

Alle bisherigen Produktionsweisen sind nur auf Erzielung des nächsten, unmittelbarsten Nutzeffekts der Arbeit ausgegangen. Die weiteren erst in späterer Zeit eintretenden, durch allmähliche Wiederholung und Anhäufung wirksam werdenden Folgen blieben gänzlich vernachlässigt. Das ursprüngliche gemeinsame Eigentum am Boden entsprach einerseits einem Entwicklungszustand der Menschen, der ihren Gesichtskreis überhaupt auf das Allernächste beschränkte, und setzte andrerseits einen gewissen Überfluß an verfügbarem Boden voraus, der gegenüber den etwaigen schlimmen Folgen dieser waldursprünglichen Wirtschaft einen gewissen Spielraum ließ. Wurde dieser Überschuß von Land erschöpft, so verfiel auch das Gemeineigentum. Alle höheren Formen der Produktion aber sind zur Trennung der Bevölkerung in verschiedne Klassen und damit zum Gegensatz von herrschenden und unterdrückten Klassen vorangegangen; damit aber wurde das Interesse der herrschenden Klasse das treibende Element der Produktion, soweit diese sich nicht auf den notdürftigsten Lebensunterhalt der Unterdrückten beschränkte. Am vollständigsten ist dies in der jetzt in Westeuropa herrschenden kapitalistischen Produktionsweise durchgeführt. Die einzelnen, Produktion und Austausch beherrschenden Kapitalisten können sich nur um den unmittelbarsten Nutzeffekt ihrer Handlungen kümmern. Ja selbst dieser Nutzeffekt – soweit es sich um den Nutzen des erzeugten oder ausgetauschten Artikels handelt – tritt vollständig in den Hintergrund; der beim Verkauf zu erzielende Profit wird die einzige Triebfeder.“2

Alle Umweltkonferenzen der letzten Jahrzehnte haben an diesem Grundwiderspruch zwischen der Notwendigkeit gesellschaftlicher Planung und dem ihr entgegenstehenden Grundprinzip der Profitorientierung der einzelnen kapitalistischen Unternehmen nichts geändert und können daran nichts ändern. Dieser Grundwiderspruch bahnt sich durch alle schönen Worte hindurch immer wieder Bahn. Also ersetzt der von der Partei „Die Grünen“ gestellte Wirtschaftsminister relativ umweltfreundliches russisches Gas, das – ebenfalls relativ umweltfreundlich – durch ein Jahrzehnte altes Rohr nach Deutschland strömt, durch amerikanisches Fracking-Gas, das von der Förderung bis zur Lieferung in energiefressenden Kühltankschiffen so ungefähr die umweltschädlichste Form von Gas ist, die ein Mensch sich vorstellen kann.

Irgendwann ist der Krieg in der Ukraine vorbei – hoffentlich ohne dass er zu einem Flächenbrand wird, der auch Deutschland erfasst. Weitet er sich zu einem Atomkrieg aus, sind in der Tat alle umweltpolitischen Debatten seit den 70er Jahren mit uns jetzt Lebenden gemeinsam ausgelöscht. Wenn nicht, werden diese Debatten aber wieder ihr Haupt erheben und ihren berechtigten Platz in den Zeitungen und Sendeterminen einnehmen. Und es liegt an uns, die Engels’sche Erkenntnis durchzusetzen, dass die Wiedereins-Werdung von Natur und Mensch nur bei Aufhebung des Privateigentums an Grund und Boden und Produktionsmitteln gelingen wird.

Manfred Sohn

1 Friedrich Engels, Dialektik der Natur, in: Karl Marx/ Friedrich Engels, Werke, (MEW), Band 20, Berlin 1975, S. 451ff

2 Ebenda, S. 454f