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Marx und Engels zu den Voraussetzungen dauerhaften Friedens nach innen und außen

Von Karl Marx und Friedrich Engels ist kein zusammenhängendes, großes Werk über das Thema Krieg und Frieden überliefert, dass alle denkenden und fühlenden Menschen des blutigen 20. Jahrhundert und des immer blutiger werdenden 21. Jahrhunderts beschäftigt. Das hat seinen schlichten Grund darin, dass beide noch vor dem Zeitalter lebten und wirkten, welches die Marxistin Rosa Luxemburg in ihrer berühmten „Junius-Broschüre“ zur „Krise der Sozialdemokratie“ später das „Zeitalter der Weltkriege“ nennen sollte, in dem wir uns immer unverkennbarer befinden.

Sowohl Luxemburg als auch Wladimir Iljitsch Lenin standen auf den Schultern von Marx und Engels – auch in der Friedenfrage.

Aus den Werken beider Gründungsväter des wissenschaftlichen Sozialismus lassen sich viele Stellen finden, in denen sie sich angesichts des damals ja bereits heraufdämmernden Zeitalters der Weltkriege mit der Frage von Krieg und Frieden befasst haben[1].  Auf zwei dieser Quellen soll hier aufmerksam gemacht werden – eine vom Anfang des Wirkens der beiden, eine aus einem späteren Jahrzehnt.

Im Februar 1845 hält der damals 24jährige Friedrich Engels in seiner Heimatstadt Elberfeld zwei Reden, über die er im selben Monat seinem Freund Karl Marx begeistert schreibt: „Hier in Elberfeld geschehen Wunderdinge. Wir haben gestern im größten Saale und ersten Gasthof der Stadt unsre dritte kommunistische Versammlung abgehalten. Die erste 40, die zweite 130, die dritte wenigstens 200 Menschen stark.“[2] In einem anderen Brief vom 10. Mai desselben Jahres berichtet Engels über die erste Versammlung, bei der er auch referierte, dass sie aufgrund der lebhaften Diskussion bis ein Uhr morgens andauerte. Auch die zweite Versammlung kam erst um Mitternacht zu einem Ende[3]. Zu einer vierten Versammlung kam es nicht: „Einige Tage danach wurde in der Stadt ein Gerücht verbreitet, dass die nächste Versammlung von der Polizei aufgelöst und die Sprecher verhaftet werden sollten. Der Bürgermeister von Elberfeld ging tatsächlich persönlich zu dem Hotelbesitzer und drohte, ihm die Lizenz zu entziehen, wenn er künftighin wieder derartige Versammlungen in seinem Hause zulassen würde. … Die Versammlung fand am folgenden Sonnabend statt. Der Bürgermeister und der Staatsanwalt (…) waren anwesend, unterstützt von einem Trupp bewaffneter Polizisten… Natürlich wurden unter solchen Umständen keine öffentlichen Ansprachen gehalten. Die Versammlung befasste sich mit Beefsteaks und Wein und gab der Polizei keinen Anlass zum Einschreiten.“[4] 

Die Reden aber waren in der Welt, erfreuten sich nach diesen Ereignissen fortan in Wuppertal, Elberfeld und darüber hinaus großer Aufmerksamkeit und die beiden, die Engels dort gehalten hat, finden sich weiterhin in den „Marx Engels Werken“ zumindest bis zur nächsten Bücherverbrennung in jeder Universitätsbibliothek unter der Überschrift „Zwei Reden in Elberfeld“[5]. 

Gleich zu Beginn seiner ersten Rede[6] umreißt der junge Engels den bis heute für alle Marxistinnen und Marxisten grundlegenden Gedanken für das Entstehen und Vergehen von Kriegen:

„Wir leben, wie Sie eben gehört haben und wie ich es ohnehin als allgemein bekannt voraussetzen darf, in einer Welt der freien Konkurrenz. Sehen wir uns denn diese freie Konkurrenz und die von ihr erzeugte Weltordnung etwas näher an. In unserer heutigen Gesellschaft arbeitet jeder auf seine eigne Hand, jeder sucht sich für seinen Kopf zu bereichern und kümmert sich nicht im geringsten um das, was die andern tun; von einer vernünftigen Organisation, von einer Verteilung der Arbeiten ist keine Rede, sondern im Gegenteil, jeder sucht dem andern den Rang abzulaufen, sucht die günstigste Gelegenheit für seinen Privatvorteil auszubeuten und hat weder Zeit noch Lust, daran zu denken, dass sein eigenes Interesse im Grunde doch mit dem aller übrigen Menschen zusammenfällt. Der einzelne Kapitalist steht im Kampfe mit allen übrigen Kapitalisten, der einzelne Arbeiter mit allen übrigen Arbeitern; alle Kapitalisten kämpfen gegen alle Arbeiter, wie die Masse der Arbeiter notwendig wieder gegen die Masse der Kapitalisten zu kämpfen hat. In diesem Krieg Aller gegen Alle, in dieser allgemeinen Unordnung und gegenseitigen Ausbeutung besteht das Wesen der heutigen bürgerlichen Gesellschaft.“[7]

Engels führt im weiteren Verlauf seiner Rede zunächst die ökonomischen und sozialen Folgen diese Krieges aller gegen alle aus und betont zusammenfassend: „Die jetzige Gesellschaft, welche den einzelnen Menschen mit allen übrigen in Feindschaft bringt, erzeugt auf diese Weise einen sozialen Krieg Aller gegen Alle, der notwendigerweise bei einzelnen, namentlich Ungebildeten, eine brutale, barbarisch-gewaltsame Form annehmen muss – die Form des Verbrechens.“[8] 

Auf diese Seite des Krieges nach innen soll hier nicht weiter eingegangen werden[9]. Engels zieht im folgenden die Verbindung dieses Krieges aller gegen alle nach innen zum Krieg aller gegen alle nach außen: „Eine der kostspieligsten Einrichtungen, deren die jetzige Gesellschaft nicht entbehren kann, sind die stehenden Heere… Wir wissen es an unserem eigenen Staatsbudget, was uns das stehende Heer kostet – vierundzwanzig Millionen jährlich und die Entziehung von zweimalhundertausend der kräftigsten Arme aus der Produktion. In der kommunistischen Gesellschaft würde es keinem Menschen einfallen, an ein stehendes Heer zu denken. Wozu auch? Zur Bewahrung der inneren Ruhe des Landes? Es wird, wie wir oben sahen, keinem einzigen einfallen, diese innere Ruhe zu stören. Die Furcht vor Revolutionen ist ja nur die Folge der Opposition der Interessen; wo die Interessen aller zusammenfallen, kann von einer solchen Furcht keine Rede mehr sein. – Zu einem Angriffskriege? Wie sollte eine kommunistische Gesellschaft dazu kommen, einen Angriffskrieg zu unternehmen – sie, die sehr gut weiß, dass sie im Kriege nur Menschen und Kapital verliert, während sie höchstens ein paar widerwillige, also eine Störung in die soziale Ordnung bringende Provinzen erlagen kann! – Zu einem Verteidigungskriege? Dazu bedarf es keines stehenden Heeres, da es ein leichtes sein wird, jedes fähige Mitglied der Gesellschaft auch neben seinen übrigen Beschäftigungen so weit in der wirklichen, nicht parademäßigen Waffengewandtheit zu üben, als es zur Verteidigung seines Landes nötig ist.“[10]

Das hier deutlich werdende strategische Dreieck in der Frage von Krieg und Frieden verlassen weder Engels noch Marx im weiteren Verlaufe ihres Lebens. Es besteht aus drei auch heute noch für jeden in ihrer Tradition wirkenden Menschen aus drei Grundeinsichten:

Ein dauerhafter Friede ist möglich.
Er ist allerdings erst möglich nach Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln und damit Überwindung des archaischen Zustandes der Gesellschaft, die nach innen wie nach außen durch einen Krieg aller gegen alle gekennzeichnet ist.
Bis es soweit ist, müssen der nach innen und außen gerichtete Aggressivität dieser Gesellschaftsordnung Zügel angelegt werden, die sie am Gebrauch der Waffen gegen die eigene Bevölkerung und am Überfall auf fremde Länder hindert.
Insbesondere diesen letzten Aspekt haben die beiden im weiteren Verlaufe ihres Lebens immer wieder durch kurze eingreifende Artikel an den Stellen des Geschichtsverlaufs konkretisiert, an den das permanente Geklirre der Waffen lauter wurde. Im Frühjahr 1869 drohten die Spannungen zwischen England und den USA sich in einem neuen Krieg zwischen diesen beiden Mächten zu entladen. Auf dem europäischen Kontinent hatten sich die um Marx und Engels zusammengeschlossenen Kräfte inzwischen in der „Internationalen Arbeiterassoziation“ organisiert. Im Namen des Generalrats richtet Karl Marx am 12. Mai daher eine „Adresse an die Nationale Arbeiterunion der Vereinigten Staaten“, in der es heißt: 

„In dem Gründungsprogramm unserer Assoziation erklärten wir: ‚Nicht die Weisheit der herrschenden Klassen, sondern der heroische Widerstand der englischen Arbeiterklasse gegen ihre verbrecherische Torheit bewahrte den Westen Europas vor einer transatlantischen Kreuzfahrt für die Verewigung und Propaganda der Sklaverei.‘ Die Reihe ist jetzt an Euch, einem Krieg vorzubeugen, dessen klarstes Resultat sein würde, für eine unbestimmte Zeitperiode die emporsteigende Arbeiterbewegung auf beiden Seiten des Atlantischen Ozeans zurückzuschleudern. 

Wir brauchen Euch kaum zu sagen, dass europäische Mächte existieren, die eifrig bemüht sind, einen Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und England zu schüren. …

Euch denn fällt die glorreiche Aufgabe anheim, der Welt zu beweisen, dass jetzt endlich die Arbeiterklasse den Schauplatz der Geschichte nicht länger als serviles Gefolge betritt, sondern als selbständige Macht, die sich ihrer eigenen Verantwortlichkeit bewusst und imstande ist, Frieden zu gebieten, wo diejenigen, die ihre Herren sein wollen, Krieg schreien.“[11]

Damit wird in Konkretisierung dieses dritten Eckpfeilers marxistischer Friedenspolitik klar, dass sie sich nicht auf irgendwelche wolkigen Ideen stützt, sondern auf die konkreten Interesse einer der Klassen, aus denen die kapitalistische Gesellschaft, wie von Engels schon 1845 dargelegt, unweigerlich besteht, also der Arbeiterklasse. Wer die Kriegsfrage von der Klassenfrage trennt, ist alles Mögliche – eine Marxistin oder ein Marxist ist er oder sie nicht.

Noch deutlicher wird dieser zentrale Gedanke gut ein Jahr später, als die Herrschenden tatsächlich einen neuen Krieg vom Zaun brechen. Der Waffengang zwischen Deutschland und Frankreich ist noch keine Woche alt, als die Internationale Arbeiterassoziation am 23. Juli 1870 in London unter Federführung von Marx ihre „Erste Adresse über den Deutsch-Französischen Krieg“ verfasst, in der es zum Schluss heißt:

„Die englische Arbeiterklasse reicht den französischen wie den deutschen Arbeitern brüderlich die Hand. Sie ist fest überzeugt, dass, möge der bevorstehende scheußliche Krieg endigen, wie er will, die Allianz der Arbeiter aller Länder schließlich den Krieg ausrotten wird. Während das offizielle Frankreich und das offizielle Deutschland sich in einem brudermörderischen Kampf stürzen, senden die Arbeiter einander Botschaften des Friedens und der Freundschaft. Diese einzige große Tatsache, ohnegleichen in der Geschichte der Vergangenheit, eröffnet die Aussicht auf eine hellere Zukunft. Sie beweist, dass, im Gegensatz zur alten Gesellschaft mit ihrem ökonomischen Elend und ihrem politischen Wahnwitz, eine neue Gesellschaft entsteht, deren internationales Prinzip der Friede sein wird, weil bei jeder Nation dasselbe Prinzip herrscht – die Arbeit!

Die Bahnbrecherin dieser neuen Gesellschaft ist die Internationale Arbeiterassoziation.“[12]

Seit 1917 hat sich durch die Übernahme der Staatsgewalt durch kommunistische Parteien die „Aussicht auf eine hellere Zukunft“ auch auf die diplomatische Ebene des Handelns zwischen Staatsführungen ausgeweitet. Das nimmt aber die bereits von Engels skizzierten und hier noch einmal zugespitzt formulierten Wesensgedanken nicht weg: Der Krieg wird ausgerottet werden. Entscheidend ist dafür das Handeln der internationalen Arbeiterklasse – nicht nur zum Sieg über den Kapitalismus, sondern auch für die Abschaffung der Kriege. In dieser Verantwortung stehen ihre Organisationen auch dort, wo sie die Staatsgewalt noch nicht erobert haben.  

Manfred Sohn


 
[1] Vergleiche dazu auch in dieser Rubrik „Marx Engels aktuell“ den Eintrag vom 1. Februar 2023 – „Kann Europa abrüsten?“
[2] Marx Engels Werke (abgekürzt künftig MEW), Band 2, Berlin 1974, S. 667
[3] ebenda, S. 515ff
[4] ebenda, S. 517f
[5] ebenda, S. 536 bis 557
[6] Sie knüpft an eine Rede von Moses Heß (1812-1875) an, der später Lassalleaner wurde.
[7] ebenda, S. 536
[8] ebenda, S. 541
[9] Es genügt vielleicht darauf hinzuweisen, daß die uns heute selbstverständliche gewordenen Zahl von Polizisten, Staatsanwälten, Justizvollzugsbeamten, Knästen, Wannen und Gefangenentransportwagen historisch sowohl in vorkapitalistischen Gesellschaften unbekannt war als auch gegenüber den frühen sozialistischen Gesellschaften, die es zwischen 1949 und 1989 auch auf deutschem Boden gab, explodiert ist. Von der vielbeschimpften „Deutschen Volkspolizei“ der DDR gibt es eben auch deshalb keine Aufnahmen der rittermäßig aufgerüsteten Phalanxen, mit denen spätestens seit der Anti-AKW-Bewegung die Staatsmacht regelmäßig Demonstranten gegenübertritt, weil sie solche Aufrüstung gegen das eigenen Volk weder kannte noch hatte oder brauchte.
[10] Ebenda, S. 542f
[11] MEW 16, Berlin 1962, S. 355ff
[12] MES 17, Berlin 1976, S. 7