Friedrich Engels zu Traditionslinien deutscher Außenpolitik
Das 1848er Jahr war erfüllt von revolutionären Hoffnungen in großen Teilen Europas und reaktionärer Entschlossenheit, jede Erhebung des Volkes mit brutaler Waffengewalt niederzuschlagen. Auf die Hoffnungen des März folgte die blutige Niederschlagung des Pariser Juni-Aufstandes. Über Deutschland hinaus waren die Herrschenden dieses damals noch nicht geeinigten Landes in ganz Europa bis hin nach Nordamerika an fast allen Feldzügen gegen die um Demokratie und Freiheit kämpfenden Völkern beteiligt. Erst der Sieg der Antihitlerkoalition und die Stärke der Sowjetunion haben diese damaligen Kontinuitätslinien deutscher Außenpolitik von 1945 bis 1990 für einige Zeit unterbrochen. Jetzt leben sie vor unseren Augen wieder auf.
In der „Neuen Rheinischen Zeitung“, deren Chefredakteur Karl Marx war, erschien am 3. Juli vor 177 Jahren ein Artikel von Friedrich Engels mit dem Titel „Auswärtige deutsche Politik“[1], der unter dem Lichte des neuen deutschen Großmachtstrebens und des wahnwitzigen Aufrüstungsprogramms gegen Russland von erschreckender Aktualität ist. Er beginnt mit den Sätzen „Die Völker aneinander zu hetzen, das eine zur Unterdrückung des andern zu benutzen und so für die Fortdauer der absoluten Herrschermacht zu sorgen – das war die Kunst und das Werk der bisherigen Gewalthaber und ihrer Diplomaten. Deutschland hat sich in dieser Hinsicht ausgezeichnet.“ Engels lässt dann als Beleg für diese These „die letzten 70 Jahre“ Revue passieren, um schließlich zu enden: „Mit Hilfe deutscher Soldateska Polen beraubt, zerstückelt, Krakau gemeuchelt. Mit Hülfe deutschen Geldes und Blutes die Lombardei und Venedig geknechtet und ausgesogen, mittel- oder unmittelbar in ganz Italien jede Freiheitsbewegung durch Bajonett, Galgen, Kerker und Galeeren erstickt. Das Sündenregister ist viel länger; schlagen wir es zu.“ Wer dächte bei diesen Sätzen nicht an die Wiedergeburt großdeutscher Außenpolitik, die mit der Zerstückelung des sozialistischen Jugoslawiens und des damit verknüpften völkerrechtswidrigen Angriffskrieges auf dieses Land keine 10 Jahre nach der sogenannten Wiedervereinigung begann?
Engels belässt es aber nicht bei der Berichterstattung, sondern verknüpft die Darlegung der damals zurückliegenden und aktuellen Ereignisse mit drei grundsätzlichen Bemerkungen, die an Aktualität eher gewonnen als verloren haben.
Erstens macht er deutlich, dass die Volksmassen – jedenfalls die erwachsenen Teile unter ihnen – eine Verantwortung haben, wenn sie diesen Kurs nicht stoppen: „Die Schuld der mit Deutschlands Hülfe in andern Ländern verübten Niederträchtigkeiten fällt nicht allein den Regierungen, sondern zu einem großen Teil dem deutschen Volke selbst zur Last. Ohne seine Verblendungen, seinen Sklavensinn, seine Anstelligkeit als Landsknechte und als ‚gemütliche‘ Büttel und Werkzeuge der Herren ‚von Gottes Gnaden‘ wäre der deutsche Name weniger gehasst, verflucht, verachtet im Auslande, wären die von Deutschland aus unterdrückten Völker längst zu einem normalen Zustand freier Entwicklung gelangt.“ Das gilt zwei von Deutschland begonnene Weltkriege später mehr denn je. Lemmingen gleich scheint dieses Volk nun zum dritten Mal innerhalb von weniger als drei Menschenaltern sich willig in den dann unwiderruflich letzten großen Krieg gegen Russland hineinsäuseln und -drücken zu lassen. Obwohl zweimal widerlegt, funktioniert das Muster, dass Deutschland sich gegen ein „Despoten“, dem Zaren also, verteidigen müsse, mit dem die Kriegserklärung Berlins an Russland vom 1. August 1914 den Angreifer zum Verteidiger machte, in den Hirnen von Millionen aus diesem Volk genauso wie es am 22. Juni 1941 vielfach der Erklärung des Oberkommandos der Wehrmacht glaubte, das damals verkündete: „An der sowjetrussischen Grenze ist es seit den frühen Morgenstunden des heutigen Tages zu Kampfhandlungen gekommen. Ein Versuch des Feindes, nach Ostpreußen einzudringen, wurde unter schweren Verlusten abgewiesen.“ Und dieses Volk glaubt jetzt in weiten Teilen wieder den Erzählungen seiner Führung, es ginge bei der beschlossenen Verdreifachung des deutschen Wehretats um Verteidigung gegen Russland.
Zweitens arbeitet Engels in wenigen Sätzen heraus, dass sich der damals anschwellende deutsche Patriotismus bestens eignet, um die Taschen einiger Industrieller zu füllen, auch wenn sich das bei Engels angesichts der revolutionären Erhebungen von 1848 mit die Hoffnung verbindet, das sei bald Vergangenheit: „Nur wo das materielle Interesse sich verbirgt unter diese patriotischen Arabesken, nur bei einem Teil der großen Bourgeoisie, die mit diesem offiziellen Patriotismus Geschäfte macht, macht der offizielle Patriotismus noch Geschäfte.“ Wer denkt da nicht an den Riesenreibach, den zur Zeit Herr Papperger macht, der Vorsitzende von Rheinmetall wie auch alle Couponschneider, die Aktien dieser Fabrik für Mordmaschinen besitzen? Rheinmetall steht dabei stellvertretend für Tausende von geschäftstüchtigen Jung- und Altmanagern, die den Satz des Kanzlers, Deutschland sei unter seiner „Führung“ wieder „zurück auf der internationalen Bühne“[2] in den nächsten Jahren für sich in klingende Münze verwandeln wollen.
Der dritte Gedanke von Engels mag im diesen Tagen noch fern liegen, aber sein historischer Moment wird kommen: In der Hoffnung auf ein gutes Ergebnis der Aufstände in ganz Europa und eben auch in Deutschland stellt er den engen Zusammenhang zwischen Außen- und Innenpolitik her: „Soll Deutschlands Blut und Geld nicht länger gegen seinen eigenen Vorteil zur Unterdrückung anderer Nationalitäten vergeudet werden, so müssen wir eine wirkliche Volksregierung erringen, das alte Gebäude muss bis auf seine Grundmauern weggeräumt werden. Erst dann kann die blutig-feige Politik des alten, des wieder erneuten Systems Platz machen der internationalen Politik der Demokratie. Wie wollt Ihr demokratisch auftreten nach außen, solange die Demokratie im Inland geknebelt ist?“ Noch leben wir in der Phase, in der diese Knebel fester gezogen werden – gegen deutsche Journalisten, die aus Moskau Widerworte gegen den deutschen Kriegskurs schreiben oder gegen die Aktivisten der „Friedensbrücke“, die offizieller Russlandfeindlichkeit zum Trotze seit 2015 Hilfsgüter für die leidenden Menschen des Donbass gesammelt haben. Innen- und Außenpolitik sind historisch immer in beiden Richtungen synchronisiert: Wachsender Kriegswille geht immer einher mit wachsender Repression im Inneren, Umkehr zu Friedensfähigkeit verbindet sich mit der Freiheit, als wenn ein Fenster aufgestoßen wird und frische Luft ins miefige Zimmer zieht.
Wohlan dann deutsches Volk, könnte man in der Sprache der Zeit von Friedrich Engels ausrufen, entledige Dich Deines Dir zugedachten „Sklavensinns“ und besinne Dich auf die wenigen, aber wertvollen guten Traditionen, angefangen von den Bauernkriegen vor 500 Jahren über die 1848er Revolution, die Novemberrevolution 1918 bis hin zur Erringung der DDR 1949, die wenigstens für ein paar Jahrzehnte eine ganz andere kurze Kontinuität der „auswärtigen deutschen Politik“ ermöglichte – nämlich eine des Friedens und der Völkerfreundschaft, insbesondere der mit dem russischen Volk.
Manfred Sohn
[1]Friedrich Engels, Auswärtige deutsche Politik, in: Marx Engels Werke (MEW), Band 5, Berlin 1975, S. 154ff. Die nachfolgenden Zitate sind ohne weiteren Nachweis diesen Seiten entnommen.
[2]Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. Juni 2025